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20 Jahre Kooperation IG Metall MEO – UGT-Fica Katalonien

Wiedersehen nach Corona-Zwangspause

14.09.2022 I Zwei Jahre lang haben wir uns wegen Corona nicht persönlich treffen, nur per Video-Konferenz den Kontakt halten können. Doch Anfang Juni war es wieder möglich: Eine vierköpfige Delegation der IG Metall MEO (Jörg Schlüter, Markus Ernst, Helmut Brodrick und Ulrich Breitbach) reiste zum lange aufgeschobenen Besuch unserer Kolleginnen und Kollegen von der UGT-Fica Kataloniens ins spanische Barcelona.
Unterstützt wurden wir von unserer Kollegin Angélica Jimenez-Romo von Fachbereich für transnationale Gewerkschaftspolitik beim Hauptvorstand der IG Metall. Ein überaus herzlicher Empfang, eine komfortable Unterbringung am Strand von Sitges und die katalanische Gastfreundschaft, die uns deutsche Kollegen mitunter beschämt – das waren die perfekten Rahmenbedingungen eines Besuchs, der neben dem Austausch vieler Informationen und Ideen auch die Bekanntschaft mit einer Kollegin und einem Kollegen der Gewerkschaft der Ziegelbrenner in Argentinien brachte. Es ist an dieser Stelle ganz unmöglich, all die verschiedenen Aspekte unserer Diskussionen wiederzugeben, die übrigens im 20. Jahr unserer Kooperation stattfanden. Was folgt, sind deshalb nur ein paar Schlaglichter auf die wichtigsten Themen.

Prekäre Arbeit

In beiden Ländern sind Niedriglohn und unsichere Arbeitsverhältnisse ein großes Problem. Die spanischen Kollegen blicken mit Neid auf die Erhöhung des deutschen Mindestlohns auf 12 Euro die Stunde. So Bernardo Fuentes, in Katalonien für die Tarifpolitik zuständig. Bei ihnen beträgt er nur 1.000 Euro im Monat. Bernardo erklärte uns die Arbeitsmarktreform, die das spanische Parlament verabschiedet hat. Ab jetzt sind dort unbefristete Arbeitsverträge die Regel. Befristete Arbeitsverträge sind nur noch unter bestimmten Bedingungen möglich. Ihre Verkettung ist begrenzt worden. Die spanischen Kollegen halten die Reform für nicht ideal, aber doch für eine wesentliche Verbesserung gegenüber der zuvor ausufernden prekären Arbeit. Positiv zu Buche schlägt für sie auch, dass Branchen-Tarifverträge jetzt Vorrang vor Firmen-Tarifverträgen haben. Was sie wundert: Die Reform hat sich nicht für die von der Sozialistischen Partei geführten Regierung ausgezahlt. 30 Prozent tendieren in den politischen Umfragen zur Wahlenthaltung, die zudem einen positiven Trend für die rechten Parteien aufweisen. Gegen rechtspopulistische Bewegungen wie Vox in Spanien betrachtet sich die traditionell politisch mit der Sozialistischen Partei verbundene UGT als eine der letzten Bastionen der Linken. Wie wir kämpft sie gegen die Zerstörung hart errungener Rechte, die mit einem möglichen Wahlerfolg der Rechten droht.
Wir haben dargelegt, dass der Trend zur Enthaltung bei den letzten Landtagswahlen auch in Deutschland ein wesentlicher politischer Faktor war. Nur wenige Monate nach der Wahl eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers hat die SPD z. B. in Nordrhein-Westfalen ein historisch schlechtes Wahlergebnis verzeichnet, nicht zuletzt wegen der massiven Enthaltungen in den klassischen Arbeitervierteln. Und das trotz des Eintretens der SPD für den erhöhten Mindestlohn und für eine (allerdings noch nicht umgesetzte) Begrenzung der sachgrundlosen Befristung. „Richtige Richtung – aber nicht weit genug“, das ist unsere Einschätzung dieser und vergleichbarer Maßnahmen, die im Einzelnen gut sind, aber an der Prekarisierung und ihren Folgen, z. B. der Altersarmut, nichts ändern. Hier sehen wir einen wesentlichen Grund für das Wahldebakel der SPD.

Tarifpolitik und zukunftsfeste Gewerkschaftsarbeit

Jörg Schlüter erläuterte vor dem Hintergrund der da noch nicht abgeschlossenen Stahl-Tarifrunde die für deutsche Verhältnisse eher hohe Forderung, wobei damals schon absehbar ein Abschluss hinter der hochschießenden Inflation zurück bleiben würde. Seine Position: Die Tarifpolitik allein kann das Problem der Teuerung nicht lösen. Staatliche Maßnahmen sind erforderlich. Sein Fazit angesichts der sich verdichtenden Probleme, vor der die Arbeitnehmer in Deutschland stehen, nicht nur tarifpolitisch, sondern auch was die Transformation der Industrie, den Klimawandel und andere brisante Themen angeht: Die Gewerkschaften müssen wieder lernen, zu kämpfen. In dem Zusammenhang stieß bei den katalanischen Kolleginnen und Kollegen auch unser Projekt „Die IG Metall vom Betrieb aus denken“ auf großes Interesse, das von Jörg ausführlich erläutert wurde. Leitgedanke ist, unsere Verankerung im Betrieb zu vertiefen, die Arbeitsstrukturen daran auszurichten sowie andere Formen der Zusammenarbeit zwischen haupt- und ehrenamtlichen Funktionären und neue Möglichkeiten der Kommunikation zwischen der IG Metall und den Belegschaften auszuprobieren. Dabei ist eins klar: In der Bewältigung der Zukunftsaufgaben können wir uns nur auf die eigene Kraft verlassen.
Antonio Rudilla, Generalsekretär der UGT-Fica erklärte, welches Ziel sich die spanischen Kollegen gegen die Inflation gesteckt haben. Sie wollen in jedem Tarifvertrag eine Lohnausgleichsklausel verankern, die die automatischer Anpassung an die davongaloppierenden Preise sicherstellt. Er fügte hinzu: Es wird schwer, das zu erreichen.

Staatliche Investitionsförderung

Vor dem Hintergrund gerade der Erfahrungen im Ruhrgebiet konnten wir nur unterstreichen, was Antonio zu staatlichen Hilfen für Unternehmen ausführte. Es gibt in Katalonien zahlreiche Firmen, die staatliche Subventionen einstreichen, aber bei Arbeitnehmerrechten, Arbeitsschutz usw. miserabel sind. Wir kennen öffentlich geförderte Ansiedlung von Unternehmen, die statt guter, durch Tarifvertrag und Betriebsräte geschützter Arbeit Billiglohn und Rechtlosigkeit bringen. Die Überlegung der spanischen Kollegen ist, den Nationalen Pakt für Industrie, über den Unternehmen in Katalonien gefördert werden sollen, an Bedingungen zu knüpfen. Sie fordern, dass kein Geld für die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch Automatisierung fließen soll und nur die Unternehmen unterstützt werden, in denen das Prinzip der Gleichstellung von Mann und Frau verwirklicht wird sowie ein kollektiver Tarifvertrag gilt. Staatliche Zahlungen sollen immer an soziale Komponenten geknüpft sein.

Gleichstellung

Die Kollegin Ester Espigares, stellvertretende Generalsekretärin der UGT-Fica in Katalonien, vertiefte das Thema Gleichstellung. Bei gleicher Arbeit verdienen die Frauen im Durchschnitt immer noch 24 Prozent weniger als die Männer. Hier hat die UGT-Fica einen großen Erfolg zu verzeichnen. Denn die Unternehmen sind jetzt verpflichtet, Pläne darüber auszuarbeiten, wie diese Differenz beseitigt wird. In Katalonien sind bis ins nächste Jahr hinein in 1.700 Unternehmen solche Pläne mit der UGT-Fica zu verhandeln. Die Mittel zur Bewältigung dieser Riesen-Aufgabe wurden der Gewerkschaft aber nicht zur Verfügung gestellt. Jetzt müssen die Kolleginnen und Kollegen alle Kräfte anspannen, damit aus einem Erfolg kein Rückschlag wird. Trotz dieser Schwierigkeiten finden wir: Hier kann die Arbeit unserer katalanischen Kolleginnen und Kollegen bespielgebend für uns sein. Denn in Deutschland sind wir von der konkreten Umsetzung allgemeiner Bekenntnisse zur Gleichstellung deutlich weiter entfernt.

Ukraine-Krieg

Antonio stellte dar, wie der Ukraine-Krieg die Erwartungen der Arbeitnehmer in Katalonien auf wirtschaftliches Wachstum und positive Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Lebensstandard durchkreuzte. Unaufhaltsam steigende Energiepreise (z. B. Diesel doppelt so teuer wie früher) und fehlende Zulieferteile, z. B. für die Autoindustrie, haben zur Produktions-Stilllegungen geführt Wir berichteten von unseren Aktivitäten angesichts des Ukraine-Kriegs. Wir stellten dar, warum unser Einsatz für die Kolleginnen und Kollegen der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung, die wegen ihres Einsatzes gegen den Krieg in Russland und in Belarus verfolgt werden, für uns auch ein Beitrag für den Frieden in der Region ist. Denn unsere Überzeugung ist, dass es dauerhaften Frieden in der Region und in Europa nur auf der Basis der Verständigung der Völker geben kann. Das setzt aber Demokratie in diesen Ländern voraus. Gewerkschaftsfreiheit ist ihr Herzstück.

Was sonst noch war

Nur kurz erwähnt sei, dass wir Gelegenheit hatten, eine Zementfabrik zu besuchen. Und dass wir noch einige andere Themen besprochen haben. Da ging es z. B. um die Jugendarbeit ebenso wie um das spanische Mitbestimmungsmodell, das sich deutlich von der deutschen Mitbestimmung unterscheidet. Auch über das spanische Tarifvertrags-System sind wir informiert worden. Neu waruns, dass dort ein Tarifvertrag bereits dann für alle Unternehmen der Branche verbindlich ist, wenn er von zwei Gewerkschaften ausgehandelt wurde, die in den Betriebsräten die Mehrheit der Arbeitnehmer einer Branche repräsentieren. Das ist bei der UGT-Fica und den konkurrierenden Comisiones Obreras der Fall, die zusammen ca. 80 Prozent der Betriebsratsmandate halten. Auf den ersten Blick eine gute Regelung, die aber auch bedeutet, dass viele Kolleginnen und Kollegen keinen Grund sehen, Gewerkschaftsmitglied zu werden. Schließlich hörten wir spannende Berichte von Luis Carcéres und Ana Lemos, Generalsekretär und innenpolitische Sekretärin der Gewerkschaft der argentinischen Ladrilleros. Das sind die Ziegelbrenner in Argentinien. Für uns war sehr eindrucksvoll, zu erfahren, unter welchen schwierigen Bedingungen (jährliche Geldentwertung 60 %!) diese kleine Gewerkschaft die überwiegend fast rechtlosen Ziegelarbeiter organisiert und für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen kämpft. (siehe dazu hier das Interview mit Ana Lemos.)

Gemeinsame Initiativen geplant

Antonio schlug vor, gemeinsame Schritte in Richtung Europa-Parlament und EU-Kommission zu unternehmen. Denn davon sind wir gemeinsam überzeugt: Die Zusammenarbeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa und darüber hinaus über die Grenzen hinweg ist angesichts der zahlreichen und schwerwiegenden Krisen so wichtig wie je. Antonio regte eine gemeinsame Initiative gegen Verlagerungen in Europa an, bei denen die Arbeitnehmer der verschiedenen Länder gegeneinander ausgespielt werden. Auch eine gemeinsame Lobby-Arbeit gegen die Prekarisierung in Europa wäre denkbar. Über diese und andere Themen werden wir sicherlich im Rahmen unserer Online-Arbeitstreffen diskutieren und entscheiden. Fest abgemacht ist bereits der Gegenbesuch einer Delegation aus Katalonien im nächsten Frühjahr bei uns. Wenn alles klappt, sind dann auch die argentinischen Kollegen wieder dabei. Und auch ein Besuch in Argentinien ist für 2024 ins Auge gefasst.

Von links nach rechts: Ester Espigares, Jörg Schlüter, Luis Carcéres, Am Rednerpult Antonio Rudilla.
Von links nach rechts: Ulrich Breitbach, Jörg Schlüter, Markus Ernst, Helmut Brodrick.
Autor: Ulrich Breitbach